Mittel- und Neulateinische Philologie

Der Bonner Arbeitsbereich für mittel- und neulateinische Philologie deckt in Forschung und Lehre die nahezu 1500-jährige Geschichte der lateinischen Literatur seit dem Ausgang der Antike ab. Die Bedeutung der lateinischen Sprache für die europäische Kulturgeschichte war mindestens bis ins 19. Jahrhundert hinein zentral.

Eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler arbeiten hinter einer Glasfassade und mischen Chemikalien mit Großgeräten.
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Was ist das überhaupt?

Die neulateinische Philologie beschäftigt sich mit der neulateinischen Literatur seit der so genannten "Renaissance" (14.-16. Jahrhundert). Ihre wesentliche Aufgabe besteht in der Erschließung, Deutung und Kontextualisierung dieser Texte. Die neulateinische Philologie ist ein verhältnismäßig junges Fach. Als Geburtsstunde kann der erste internationale Neulateinerkongress in Löwen im August 1971 gelten. Dessen Organisator, der Löwener Latinist Jozef IJsewijn, veröffentlicht im Jahr 1977 mit seinem Companion to Neo-Latin Studies auch das erste Handbuch der neuen Disziplin. Seither wird der neulateinischen Literatur weltweit zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt. Der Forschungsbedarf bleibt gleichwohl enorm. Bislang ist nur ein Bruchteil der neulateinischen Literatur erfasst, geschweige denn erforscht.

Dies macht das Studium der neulateinischen Philologie besonders spannend: Gefordert ist sozusagen „Pionierarbeit“. Die Texte müssen in Handschriften oder alten Drucken gelesen, übersetzt, kommentiert und kontextualisiert werden.

Wenn Sie mehr über das Neulateinische erfahren wollen, werfen Sie einen Blick in eines der in jüngster Zeit entstandenen Überblickswerke, die allesamt in der Abteilungsbibliothek zu finden sind:

  • Sarah Knight/Stefan Tilg (Hrsg.): The Oxford Handbook of Neo-Latin, Oxford 2015 (bonnus)
  • Martin Korenjak: Geschichte der neulateinischen Literatur – vom Humanismus bis zur Gegenwart, München 2016 (bonnus)
  • Victoria Moul (Hrsg.): A Guide to Neo-latin Literature, Cambridge 2017 (bonnus)

Wieso soll ich mittel- und neulateinische Philologie studieren?

Die lateinische Literatur des Mittelalters und der Neuzeit übersteigt in ihrem Umfang die klassische Literatur um ein Vielfaches. Die Texte sind dabei hochgradig vielfältig: Die Bandbreite erstreckt sich von theologischen Traktaten zu derben Satiren, von persönlichen Briefsammlungen über Reden und Schulbücher zu Dialogen, von elaborierten Heldengedichten über Lehrdichtung bis hin zu kuriosen oder spannenden Abenteuerromanen. Diese Texte sind zum überwiegenden Teil noch nicht erforscht – ihre Masse ist schlichtweg erdrückend. Wer sich mit mittel- und neulateinischer Philologie beschäftigt, lernt also den Umgang mit noch nicht modern edierten Texten, mit Handschriften und alten Drucken und hat die Möglichkeit, auf Schritt und Tritt Neues zu entdecken.

Und wieso in Bonn?

Die Universität Bonn verfügt über eine der wenigen Professuren für mittel- und neulateinische Philologie in Deutschland. Der Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf der neulateinischen, d.h. nachmittelalterlichen lateinischen Literatur, wobei in der Lehre die mittellateinische Literatur gleichberechtigt mitberücksichtigt wird. In Bonn werden dabei neben der Editionsphilologie auch größere kulturhistorische Fragestellungen verfolgt. Zentrale Themen sind, um nur wenige Beispiele zu nennen, das Fortleben bzw. Wiederaufleben der antiken Literatur in der Neuzeit (Rezeptionsgeschichte), die Geschichte wissenschaftlichen oder philologischen Denkens und Forschens (frühneuzeitlicher Antiquarismus), die Rolle des Lateinischen im Kontrast zu den Volkssprachen. Dabei werden zentrale Figuren der europäischen Geistesgeschichte (Petrarca, Erasmus, Thomas Morus, Justus Lipsius) ebenso berücksichtigt wie heutige weniger bekannte Persönlichkeiten.

Die Bonner Neolatinistik ist international vernetzt. Unter ihrem Dach erscheint mit dem Neulateinischen Jahrbuch eine international renommmierte neulateinische Fachzeitschrift. Auch die neulateinische Publikationsreihe Noctes Neolatinae wird vom Arbeitsbereich betreut. Das Centre for the Classical Tradition veranstaltet regelmäßig Vorträge und Tagungen, die den Austausch mit international renommierten Forscherinnen und Forschern befördert. Mehr über weitere Forschungaktivitäten der Bonner Neolatinistik erfahren Sie hier. Die Bibliothek für mittel- und neulateinische Philologie bietet mit ihren fast 20.000 Bänden eine ideale Forschungsinfrastruktur. Das reiche mittel- und neulateinische Lehrangebot gibt den Studierenden Einblick in zentrale Bereiche des Fachs. Kleine Lerngruppen bieten dabei einen optimalen Rahmen für profunde Diskussionen und eine intensive persönliche Betreuung. Da Handschriften und Altbestände für die mittel- und neulateinische Philologie eine zentrale Rolle spielen, organisiert der Arbeitsbereich regelmäßig Führungen und Exkursionen, bei denen die Studierenden an den fachmännischen Umgang mit diesem Material herangeführt werden.

Wie kann ich mittel- und neulateinische Philologie studieren?

Die mittel- und neulateinischen Veranstaltungen stehen grundsätzlich allen Interessierten mit den nötigen Lateinkenntnissen offen. Wer sich einen persönlichen Eindruck von den Inhalten und Methoden des Fachs verschaffen möchte, ist herzlich eingeladen, eine der Veranstaltungen zu besuchen. Gerne können Sie zuvor auch entsprechend Rücksprache mit dem jeweiligen Dozenten oder der jeweiligen Dozentin halten. Darüber hinaus können die mittel- und neulateinischen Module (L4: Lateinische Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Lw1: Lektüre mittel- und neulateinischer Autoren, L/G w 1: Kulturelle und literarische Traditionen der Antike) auch im Rahmen der Lehramtsstudiengänge bzw. der Zwei-Fach-Bachelor-Studiengänge „Griechische“ bzw. „Lateinische Literatur der Antike und ihr Fortleben“ bzw. „Griechische und Lateinische Literatur der Antike und ihr Fortleben" als Bachelor-Begleitfach belegt werden (mehr Informationen zu diesen Studiengängen).

Mittel- und neulateinische Lehrveranstaltungen sind auch Teil der interdisziplinären Master-Studiengänge „Mittelalterstudien“ und „Renaissance-Studien“. Es besteht außerdem die Möglichkeit, an unserem Arbeitsbereich eine Promotion im Fach "Mittel- und Neulateinische Philologie" anzustreben.


Berufsperspektiven

Es gibt einige Universitäten und sonstige Forschungseinrichtungen, die vereinzelt Stellen für Mittel- und NeulateinerInnen anbieten. Doch ist es ratsam und sinnvoll, das Studium des Mittel- und Neulateins mit anderen Interessen und Aktivitäten zu kombinieren:

Die lateinische Literatur des Mittelalters und der Neuzeit ist beispielsweise integraler Bestandteil der Lehramtsausbildung. Der Kernlehrplan Latein für Nordrhein-Westfalen sieht zentrale Texte der Nachantike, wie etwa die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine aus dem 13. Jahrhundert oder Amerigo Vespuccis nur auf Latein erhaltenes Sendschreiben Mundus Novus über den kürzlich entdeckten Amerikanischen Kontinent (1502), explizit als Schullektüre vor. Auch das Fortwirken der lateinischen Literatur in Mittelalter und Früher Neuzeit gehört zu den Inhalten des Lateinunterrichts.

Lehramtsstudierende sollten die Gelegenheit nutzen, sich bereits im Studium mit der mittel- und neulateinischen Literatur vertraut zu machen.
Die im Studium der mittel- und neulateinischen Philologie zu erwerbenden Kenntnisse und Kompetenzen sind jedoch auch für eine Vielzahl anderer Berufsfelder von großer Bedeutung. Zu denken ist hier zuvörderst an das Archiv- und Bibliothekswesen, an Museen und andere Kultureinrichtungen. Wenn Sie sich für eine Zukunft in diesen Berufsfeldern interessieren, sollten Sie idealerweise bereits während des Studiums versuchen, über Praktika einschlägige Erfahrungen in den entsprechenden Institutionen zu sammeln. Wir beraten Sie hierbei gerne!


Forschungsprojekte der Abteilung

Mitarbeit an der mittellateinischen Bibliographie Medioevo Latino (MEL)

Im Arbeitsbereich Mittel- und Neulateinische Philologie ist die Koordination des Centre for the Classical Tradition (CCT) angesiedelt, durch das auch verschiedene laufende und abgeschlossene Projekte im Bereich der Neulateinischen Philologie unterstützt wurden und werden.

Hierzu gehörten ein interdisziplinär angelegtes Projekt zu Theodosius Schoepffers Gerontologia seu Tractatus de jure senum (1705), das von Juni 2005 - Dezember 2006 im Rahmen des NRW-Förderprogramms "Geisteswisenschaften gestalten Zukunftsperspektiven" gefördert wurde.

Seit 2006 wird an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn eine Forschergruppe "Traditionen okzidentaler Streitkultur. Formen, Sphären und Funktionen des öffentlichen Streits" aufgebaut. Die Mittel- und Neulateinische Philologie ist hieran mit einem Projekt zu "Formen und Funktionen der humanistischen Streitkultur nördlich der Alpen im 16. Jh." beteiligt.

Projekt zur Edition, Übersetzung und Kommentierung der "Amoenitates Exoticae" (1712) von Engelbert Kaempfer (1651–1716); Beteiligte Forscher u.a.: Monika Gronke (Köln), Detlef Haberland (Oldenburg), Dieter Merzbacher (Wolfenbüttel), Wolfgang Michel (Fukuoka/Japan), Karl August Neuhausen (Bonn), Astrid Steiner-Weber (Bonn).
Das Projekt wird von der DFG vorerst für zwei Jahre (2008–2010) gefördert.

Seit Frühjahr 2000 wird im Arbeitsbereich Mittel- und Neulateinische Philologie der Nachlass des Bonner Latinisten Franz Bücheler (1837–1908) bearbeitet.

Der "Nachlass Bücheler" - ein Projekt zur Wissenschaftsgeschichte des 19. Jhs. -
(Kurzfassung des Berichts in NlatJb 3, 2001, 226-229)

Seit Frühjahr 2000 wird im Arbeitsbereich Mittel- und Neulateinische Philologie an der Universität Bonn der (hauptsächlich wissenschaftliche, teilweise auch private) Nachlass des Bonner Latinisten Franz Bücheler (1837-1908) in einer Projektgruppe aufgearbeitet. Bücheler, von 1870 bis 1905 Professor am Philologischen Seminar der Universität Bonn, war einer der bedeutendsten klassischen Philologen Deutschlands des 19. Jahrhunderts. Neben seinen Forschungen zu lateinischen Inschriften und zum Oskisch-Umbrischen hat er sich vor allem als Initiator und Mitbegründer des lexikographischen Projekts Thesaurus linguae Latinae in München einen Namen gemacht. Daneben pflegte Bücheler, deri nternationales Renommee genoss und zu dessen Schülerkreis wiederum bekannte Philologen zählten, einen regen Briefwechsel mit namhaften Wissenschaftlern seiner Zeit. Die Briefe dieser Persönlichkeiten an ihn bilden das Kernstück seines Nachlasses, der außerdem aus Vorarbeiten zum Thesaurus linguae Latinae (z. T. schriftliche Überlegungen der damals beteiligten Kollegen), Vorlesungsmanuskripten, Notizen zu verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten, Tagebüchern und privaten Dokumenten besteht.

Das Material des Nachlasses wird an zwei Orten aufbewahrt: die Hauptmasse (d.h. vor allem die Korrespondenz) lagert im Stadtarchiv Bonn, während ein kleinerer Teil in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn zufinden ist. In beiden Institutionen erfolgte bisher noch keine systematische Erfassung der Bestände.

Die erste Phase des Projekts besteht darin, das Material genauer zus ortieren und zu katalogisieren, um allen Interessenten einen methodisch gesicherten und bequemen Zugriff auf die zu erschließenden Dokumente zu ermöglichen. Hierfür schien das Datenbankprogramm HANS (=Akronym für Handschriften, Autographen, Nachlässe und Sonderbestände), eine spezielle Weiterentwicklung des Bibliothekskatalogisierungssystems ALLEGRO, besonders geeignet, da hierdurch die Arbeitsgänge Datenmodellierung, Erfassung, Aufbereitung und Informationserschließung wirkungsvoll unterstützt werden.

Parallelzu der Aufnahme der Materialien in die Datenbank, in der nur knappe Inhaltsangaben enthalten sind, werden die Texte vollständig und im Wortlaut auch mit einem Textverarbeitungsprogramm erfasst und separat gespeichert.


Lehrstuhlinhaber
Mittel- und Neulatein

Avatar Laureys

Prof. Dr. Marc Laureys

Professor für Mittel- und Neulateinische Philologie

Raum 3.050

Rabinstraße 8

53111 Bonn

Wissenschaftliche MitarbeiterInnen

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