24. April 2023

Internationale Konferenz: Dezentrale Globalität – Die lateinische Textkultur nach dem Ende des Römischen Reiches Dezentrale Globalität – Die lateinische Textkultur nach dem Ende des Römischen Reiches

Bonner Universitätsforum, Heussallee 18–24, 20.–22.4.2023

Die Lehrstühle für Klassische Philologie/Latinistik der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Universität Zürich (Prof. Dr. Gernot Michael Müller und Prof. Dr. Ulrich Eigler) veranstalten vom 20.–22. April 2023 an der Universität Bonn die international ausgerichtete Tagung „Dezentrale Globalität: Die lateinische Textkultur nach dem Ende des Römischen Reiches“. Die Tagung wird sich der lateinischen Literatur widmen, die zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert im Verlauf der von der Forschung als Transformation des Römischen Reiches bezeichneten Umbruchsphase entstanden ist.

Internationale interdisziplinäre Tagung: Dezentrale Globalität – Die lateinische Textkultur nach dem Ende des Römischen Reiches 

Der Zeitraum zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert ist gekennzeichnet von einer ausgeprägten Regionalisierung und Dezentralisierung politischer, wirtschaftlicher und kultureller wie insbesondere literarischer Einrichtungen und Praktiken. Sowohl den ehemaligen Territorien des Imperium, in denen sich unabhängige politische Entitäten bildeten, als auch den niemals römisch beherrschten Gebieten ist gemein, dass sie die lateinische Sprache als Lingua franca wie auch als Kulturspeicher beibehielten. Die umfassende Diffusion lateinischer Literatur in Europa, die nach wie vor das antike Erbe des Römischen Reiches in unterschiedlichen Erscheinungsformen präsent hielt und ebenso Einzug in den von Byzanz beeinflussten griechischsprachigen Osten erhielt, belegt die vielfältigen sozio-kulturellen Verflechtungen eines komplexen Kommunikationsraumes. Dieses überaus heterogene Areal wies zwar politische, kulturelle und religiöse Knotenpunkte auf, wie etwa Konstantinopel als Hauptstadt des Oströmischen Reiches oder Rom als Standort des Papsttums. Nichtsdestoweniger war es dezentral ohne übergeordnete (juristische) Instanzen bzw. Institutionen strukturiert, weshalb es sich insbesondere auf kulturelle Interaktionen, allen voran literarischen Austausch verließ. Die lateinische Textproduktion war geprägt von einer wechselseitigen Koexistenz regionaler Innovationen und einer nachwirkenden Persistenz globaler Reminiszenzen, die wesentlich zur Herausbildung der neuen (früh-)mittelalterlichen (Text-)Kultur beigetragen haben. Diese genuinen Transformationen und (Neu-)Bildungen lateinischer Literatur sind nicht allein sprachlich und inhaltlich zu erfassen, sondern spiegeln sich ebenfalls in den materiellen Befunden wider. Erstmals sind zeitnahe Überlieferungen tradiert worden, für deren Durchdringung es eines umfassenden methodischen Instrumentariums bedarf. Daher kann mit Recht von einer eigenständigen „literarhistorischen Epoche“ (M. Fuhrmann) gesprochen werden, die sich wesentlich von der vorherigen Schriftkultur unterscheidet.

 
Primäres Ziel der Tagung ist es, anhand von konkreten Fallbeispielen die lateinische Literatur des besagten Zeitraumes unter drei Gesichtspunkten in den Blick zu nehmen: Erstens anhand der überlieferten Textgattungen, ihrer Entwicklungen und Funktionen, zweitens anhand der Interferenz von Regionalität und Globalität und ihren Einflüssen auf die Texte als solche und drittens anhand der sozio-kulturellen Verflechtungen, die über Literatur instituiert worden sind und gleichsam den dezentralisierten Kommunikationsraum geschaffen haben. Alle drei Aspekte sind aufgrund ihrer Komplexität philologisch, paläographisch-kodikologisch wie auch kulturwissenschaftlich zu betrachten. Darüber hinaus sollen die transdisziplinären Ansätze kritisch reflektiert werden, um methodische Zugänge zu den tendenziell schwierigen, teils nur fragmentierte bzw. einseitige Perspektiven wiedergebende Überlieferungen ermitteln zu können. Aufgrund der thematischen Breite wurden renommierte internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus einer Vielzahl an (Teil-)Disziplinen eingeladen. Entsprechend wird die Tagung einen breiten Beitrag zur Erschließung der lateinischen Textkultur einer bislang nur vereinzelt bzw. regional erforschten Epoche einschließlich der Reflexion der dazugehörigen methodischen Verfahren vorlegen. Insbesondere die kulturwissenschaftlichen Verfahren, die rezent im Rahmen von Globalisierungs-, Netzwerk- und Verflechtungskonzepten eine hohe Konjunktur aufweisen, sollen in Bezug auf die lateinische Literatur und ihrer Diffusion umfassend geschärft werden. Während bisherige Globalisierungskonzepte in den Altertumswissenschaften einzig die Expansion des Römischen Reiches bzw. das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie unter politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gesichtspunkten berücksichtigen, fehlt es bislang an Untersuchungen zur Abwicklung des Reiches ab dem ausgehenden 5. Jahrhundert bzw. zu der in diesen Zeitraum zu verortenden Literaturproduktion(en). Mit dem Konzept der „dezentralen Globalität“ soll diese entscheidende historische Übergangsphase, die sich allen voran in der Literatur manifestiert, eine neue Würdigung  und analytische Betrachtung erfahren.

Programm

Donnerstag, 20. April 2023

14.00 Ulrich Eigler (Zürich) und Gernot Michael Müller (Bonn):
Begrüßung und Einführung

Sektion I: Zeitgenössische Reflexionen über Regionalität und Globalität

15.00 Carmen Cardelle de Hartmann (Zürich):
Regionale Kirche im globalen Horizont: Isidors De uiris illustribus in der biobliographischen Tradition

16.00 Kaffeepause

16.30 Stefan Esders (Berlin):
Zwischen 'Personalität' und 'Territorialität': Das Recht in den westlichen Reichen im 7. Jahrhundert

17.30 Susanna Fischer (München):
Die Entwicklung geographisch-topographischer Schriften vom 6. bis zum 8. Jahrhundert

Freitag, 21. April 2023
Sektion II: Identitäts- und Sinnstiftung in globalen Kontexten

9.00 Walther Pohl (Wien):
Identitätsmuster in der lateinischen Historiographie, 6.-8. Jahrhundert

10.00 Raphael Schwitter (Zürich/Bonn):
Im Dazwischen? Zur Denkfigur des Liminalen am Beispiel der Krisennarrative bei Gregor dem Großen und in der „späten Spätantike“

11:00 Kaffeepause

11.30 Els Rose (Utrecht):
Orbis terrarum: Medieval Approaches to a Global Concept

12.30 Gordon Blennemann (Montreal):
Universalismus und Partikularismus in der gallischen Hagiographie des späten 5. und 6. Jahrhunderts

13:30 Mittagspause

Sektion III: Lateinische Sprache, Schrift und Schreibtechniken als globales Phänomen

15.00 Tino Licht (Heidelberg):
Die Frühzeit der Halbunziale und die Lateinische Literatur des 6. Jahrhunderts in Italien

16.00 Maria Selig (Regensburg):
Diglossie, Re-Standardisierung oder Bilinguismus? Die sprachliche Situation im Lateineuropa des 6.-8. Jh. im Lichte sprachsoziologischer Konzepte

17:00 Kaffeepause

17.30 Sebastian Scholz (Zürich): Inschriften im frühen Mittelalter: Sprache - Inhalt – Entwicklung

18:30 Anneli Luhtala (Helsinki): In Search of Tools of Prose Composition in the Early Middle Ages

Samstag, 22. April 2023
Sektion IV: Transformation(en) und Diffusion von lateinischer Literatur

9.00 Michael Allen (Chicago): Writing For Survival: The Classics and the Caroline Graphic Revolution

10.00 Andreas Fischer (Erlangen): Reflektierte Globalität: Texte und Kommunikation zwischen Gallien und Italien im 7. Jahrhundert

11:00 Kaffeepause

11.30 William Klingshirn (Washington, DC): Latin Literatures of Diagnosis, Prognosis, and Healing: Translation, Adaptation, and Exchange

12.30 Abschlussdiskussion und Zusammenfassung

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