Lektürekanon Griechisch und Lektürehilfen

Präambel

Wie alle literaturwissenschaftlichen Disziplinen setzt auch das Studium der Griechischen Philologie Bereitschaft zur intensiven und extensiven Lektüre voraus. Freude am Lesen, Neugier auf unbekannte Texte und die Fähigkeit zur langsamen und sorgfältigen Lektüre sind unabdingbar zur erfolgreichen Gestaltung des Studiums. Leider hatten jedoch viele Studenten bis zur Aufnahme des Fachstudiums nicht ausreichend Gelegenheit, die Werke der griechischen Literatur in dem erforderlichen Maße kennenzulernen. Die Abteilung für Griechische und Lateinische Philologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat daher einen Lektürekanon entworfen, um gerade Studienanfängern einen Weg durch das zunächst undurchdringlich erscheinende Dickicht der griechischen Literatur zu bahnen.

Er versteht sich ausdrücklich nicht lediglich als unverbindlicher Vorschlag, sondern nennt Werke, deren Kenntnis absolut unverzichtbar ist, die also im wirklichen Sinne des Wortes als kanonisch zu gelten haben. Ihre Kenntnis wird in Prüfungen und Examina vorausgesetzt. Die Lehrveranstaltungen der Bachelor-Studiengänge widmen sich vorzugsweise Texten aus diesem Kanon. In den Modulen unserer Studiengänge, die selbständige Lektüre erfordern, aber auch in eigenständiger Lektüre während der vorlesungsfreien Zeit soll dieser Kanon abgearbeitet werden.

Lektüre muss, gerade zu Beginn des Studiums, zwei verschiedenen Zielen dienen: Zum einen sollen Studenten sich mit den Werken der griechischen Literatur in ihren Inhalten, ihrer Gedankenwelt, ihren Erzählungen und Mythen vertraut machen, zum anderen müssen sie möglichst genau die Gestaltungsmöglichkeiten der griechischen Sprache, ihre verschiedenen Stilebenen, Textsorten und Klangfarben kennenlernen. Hierfür sind jeweils unterschiedliche Arten des Lesens geeignet:

Die statarische Lektüre widmet sich ausschließlich dem Originaltext eines Werkes. Sie möchte dessen sprachliche Gestaltung genau kennenlernen und bedient sich daher der verfügbaren Hilfsmittel wie Wörterbücher, Grammatiken sowie insbesondere der modernen wissenschaftlichen Kommentare, die es zu zahlreichen Werken der klassischen griechischen Literatur gibt.

Die kursorische Lektüre gilt hingegen mehr dem Inhalt des Werkes, dem gegenüber sprachliche Details in den Hintergrund treten. Sie kann daher auch in Übersetzung erfolgen; wünschenswert ist die Benutzung einer zweisprachigen Ausgabe, die dem Leser erlaubt, den Originaltext zumindest stellenweise mit in seine Lektüre einzubeziehen.

In diesem Sinne sind die folgenden Listen zu verstehen: Die Rubrik in Übersetzung nennt Werke, die zur kursorischen Lektüre empfohlen sind, die Rubrik im Original Werke zur statarischen Lektüre.

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© pixabay

Bachelorstudium

Autor/Text

In Übersetzung Im Original
Homer Ilias und Odyssee je 2 Bücher
Lyriker Auswahl, darunter mind. 1 Ode von Pindar
Aischylos Perser, Orestie insgesamt 2 Tragödien
Sophokles Antigone, König Ödipus, Elektra, Philoktet, Ödipus in Kolonos
Euripides Medea, Hippolytos, Herakles Elektra, Iphigenie bei den Taurern, Orestes, Die Bakchen
Aristophanes 2 Komödien 1 Komödie
Menander Dyskolos
Herodot Auswahl im Umfang von 3 Büchern 1 Buch
Thykydides Auswahl im Umfang von 3 Büchern 1 Buch
Attische Redner 1 Rede
Platon 5 Dialoge + Politeia 1 Frühdialog, 1 mittlerer Dialog
Aristoteles Poetik, Nikomachische Ethik
Theokrit 2 Idyllien
Apollonius 3. Buch der Argonautika
Neues Testament
ganz

Masterstudium

Autor/Text In Übersetzung Im Original
Vorsokratiker Auswahl
Aristoteles Metaphysik, Physik
Kallimachos Auswahl aus den Fragmenten, 1 Hymnus
Plutarch 1 Biographienpaar, 1 Abhandlung aus den Moralia
Hellenistische Philosophie Auswahl
Polybios oder Diodor oder Cassius Dio oder Herodian 1 Buch

Anmerkungen

Zu diesen Angaben seien im Folgenden noch einige ergänzende Ratschläge gegeben. Sie betreffen insbesondere folgende Aspekte:

Hier werden exemplarisch Kommentare genannt, die gerade denjenigen wichtige Hilfen geben, die bisher noch keine umfassende Lektüreerfahrung gewinnen konnten. Für diejenigen, die sich zum ersten Mal mit einem antiken Autor oder eine Textgattung beschäftigen, ist es ratsam, sich anhand von einführenden Werken auf diese Lektüre vorzubereiten. Daher werden zu einigen Autoren solche Werke vorgeschlagen. Zu einigen in Übersetzung zu lesenden Texten werden als besonders gelungen eingestufte Übersetzungen genannt. Für Fälle, in denen die Tabelle als Lektüre eine Auswahl nennt, wird auf empfehlenswerte Anthologien hingewiesen.

Weitere Hinweise

1. Homer

  • Ilias: The Iliad: A Commentary, hrsg. von G. S. Kirk, 6 Bde, Cambridge 1985–1993; Homers Ilias. Gesamtkommentar, hrsg. von J. Latacz, München 2000–. Odyssee: A Commentary on Homer's Odyssey, hrsg. von A. Heubeck, S. West u. a., 3 Bde, Oxford 1988–1992.
  • J. Latacz, Homer. Der erste Dichter des Abendlands, Düsseldorf 22003.

Die beste Übersetzung beider Epen ist die von W. Schadewaldt (Ilias: Insel Taschenbuch 153, Frankfurt 1975; Odyssee: Rowohlts Klassiker 29, Hamburg 1958).

Hier wie in allen anderen Fällen bedeutet die Angabe je 2 Bücher, dass tatsächlich (mindestens) zwei Bücher beider Epen vollständig gelesen werden sollen, nicht eine Auswahl aus mehreren Büchern.

2. Die Tragödie

Zu fast allen Tragödien gibt es moderne Kommentare; jede Empfehlung muß subjektiv sein. Gerade für Anfänger scheinen besonders geeignet: Aischylos, Perser (H. D. Broadhead, Cambridge 1960); Sophokles, Aias (W. B. Stanford, London 1963); König Ödipus (R. C. Jebb, Cambridge 31893 oder R. D. Dawe, Cambridge 1982); Antigone (M. Griffith, Cambridge 1999); Euripides, Elektra (J. D. Denniston, Oxford 1939); Helena (R. Kannicht, Heidelberg 1969); Hippolytos (W. S. Barrett, Oxford 1964).

B. Zimmermann, Die griechische Tragödie, München 1986.

Zu Aischylos: O. Werner (Tusculum, München 51996) oder E. Staiger (Einzelausgaben bei Reclam). Zu Sophokles: W. Schadewaldt (Einzelausgaben in den Insel Taschenbüchern). Zu Euripides: E. Buschor u. a. (Tusculum, 6 Bde, München 1972–1981).

3. Die Komödie

Zu Menander, Dyskolos: E. W. Handley, London 1965, sowie der Gesamtkommentar zu Menander von A. W. Gomme/F. H. Sandbach, Oxford 1973.

Zu 9 der insgesamt 11 Komödien des Aristophanes gibt es inzwischen Kommentare aus Oxford, die alle ausgezeichnet sind: Wolken (K. J. Dover, 1968); Wespen (D. M. MacDowell, 1971); Ekklesiazusen (R. G. Ussher, 1973); Lysistrata (J. Henderson, 1987); Frösche (K. J. Dover, 1993); Vögel (N. Dunbar, 1995); Frieden (D. S. Olson, 1998); Acharner (D. S. Olson, 2002); Thesmophoriazusen (C. Austin/D. S. Olson), 2004.

  • B. Zimmermann, Die griechische Komödie, Düsseldorf 1998.
  • L. Seeger, Neubearbeitung von H.-J. Newiger, München 1968.

4. Geschichtsschreibung

  • Herodot: H. Stein, Berlin 1893-1901. Thukydides: J. Classen/J. Steup, Berlin 1892–1922. S. Hornblower, Oxford 1991–2008. Zum 2. Buch gibt es einen guten Kommentar von J. Rusten, Cambridge [Engl.] 1989.
  • O. Lendle, Einführung in die griechische Geschichtsschreibung, Darmstadt 1992.
  • Zu Herodot: A. Horneffer, Stuttgart 41971. Zu Thukydides: H. Vrestka und W. Rinner, Stuttgart 2000.

5. Platon

Eine neue Werkausgabe in deutscher Übersetzung mit philosophischem Kommentar wird von der Mainzer Akademie der Wissenschaften herausgegeben (Göttingen 1993–). Daneben lassen sich folgende Kommentare empfehlen:

  • Apologie (F. J. Weber, Paderborn 21978; besonders für Anfänger);
  • Gorgias (E. R. Dodds, Oxford 1959);
  • Phaidon (C. J. Rowe, Cambridge [Engl.] 1993);
  • Symposion (K. J. Dover, Cambridge [Engl.] 1980).
  • H. Görgemanns, Platon, Heidelberg 1994. The Cambridge Companion to Plato, hrsg. von R. Kraut, Cambridge [Engl.] 1992.

Bis zum Abschluss der neuen Standardübersetzung (s. oben unter K) kann man noch zurückgreifen auf die wirkungsmächtige Übersetzung von Friedrich Schleiermacher (6 Bde, Rowohlts Klassiker). Zur Politeia gibt es die ausgezeichnete Einzelübersetzung mit Erläuterungen von K. Vretska (Reclam, Stuttgart 1958).

6. Aristoteles

  • J. L. Ackrill, Aristotle the Philosopher, Oxford 1981 (dt. Berlin 1985).
  • The Cambridge Companion to Aristotle, hrsg. von J. Barnes, Cambridge [Engl.] 1995.
  • J. Barnes: Aristotle. A Very Short Introduction, Oxford 2000.
  • Poetik: M. Fuhrmann (Reclam, Stuttgart 1982).
    Nikomachische Ethik: F. Dirlmeier (Reclam, Stuttgart 1983).
    Metaphysik: F. F. Schwarz (Reclam, Stuttgart 1970).

7. Archaische Lyrik und vorsokratische Philosophie

  • H. Fränkel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums, München 31962;

Die dort in Übersetzung zitierten Texte sollten im Original nachgelesen werden, am besten in folgenden Anthologien:

  • Greek Lyric, hrsg. von D. A. Campbell (Loeb Classical Library, Cambridge [Mass.] 1982–1993);
  • Iambi et elegi Graeci, hrsg. von M. L. West, (2 Bde, Oxford 21989–21992).
  • The Presocratic Philosophers. A Critical History with a Selection of Texts, hrsg. von G. S. Kirk, J. E. Raven und M. Schofield, Cambridge [Engl.] 21983 (verbesserter Nachdruck 1995).

8. Hellenistische Dichtung

  • A. Körte/P. Händel, Die Hellenistische Dichtung, Stuttgart 21960.
  • A Hellenistic Anthology, hrsg. von N. Hopkinson (Cambridge [Engl.] 1988), enthält in ausreichendem Maße Texte von Kallimachos und Theokrit.

9. Hellenistische Philosophie

  • The Hellenistic Philosophers hrsg. von A. A. Long und D. N. Sedley (2 Bde, Cambridge [Engl.] 1987).
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